Piezo-Rezeptoren
(Piezo-Kanäle, Piezo-Typ mechanosensitive Ionenkanäle). Als Piezo-Rezeptoren werden zwei bei Wirbeltieren stark konservierte mechanisch regulierte Ionenkanäle (siehe Mechanotransduktion) bezeichnet, deren Poren bei mechanischer Reizung für Calcium und Natrium durchlässig sind. Dadurch können sie Aktionspotentiale und die intrazelluläre Signaltransduktion durch second messenger vermitteln. Ihre Öffnung erfolgt mit einer Latenz von wenigen Mikrosekunden, die Schließung bei fortdauerndem Reiz innerhalb von Millisekunden. Die Aktivierung der Piezo-Rezeptoren erfolgt durch Dehnung der Membran sowohl durch mechanischen Druck als auch durch Ansaugen (negativer Druck). Auch Scherkräfte, beispielsweise durch den Blutfluss im Gefäßsystem, wirken aktivierend.
Piezo1 gilt als mechanisch aktivierter Ionenkanal, er findet sich vor allem in nicht-neuronalen Zellen und dient der Regulation von Organfunktionen durch mechanische Reize innerhalb des Körpers. Piezo2 findet sich vor allem in Nervenzellen und ist unter anderem essentiell für Tastsinn und Gleichgewichtssinn.
Für die Entdeckung und grundlegende Charakterisierung der Piezo-Rezeptoren wurde Ardem Patapoutian im Jahr 2021 mit dem Nobelpreis für Physiologie und Medizin ausgezeichnet[1].
Struktur-Funktionsmodell
Die Piezo-Rezeptoren sind die größten derzeit bekannten Ionenkanäle mit drei identischen Untereinheiten von jeweils ca. 2500 Aminosäuren. Sie gehören zur Proteinfamilie FAM38 (family with sequence similarity 38) und besitzen eine einzigartige Struktur: Jede Untereinheit enthält 38 hydrophobe Abschnitte, von denen 36 gemäß einem Strukturmodell auf Basis hochauflösender Kryo-Elektronenmikroskopie[2-6] neun Bündel aus jeweils vier amphipathischen Helices bilden, die in der Membran seriell angeordnet sind.
Abbildung 1: Struktur von Piezo1 der Maus. Kryo-Elektronenmikroskopische Aufnahmen (a, b) und Bändermodell (c, d) in Aufsicht (a, c) bzw. senkrecht zur Membran (b, d). Balken: 10 nm[2] (Quelle: Roderick MacKinnon, Howard Hughes Medical Institute, The Rockefeller University).
Entsprechend der leicht gekrümmten Form der langgestreckten Untereinheiten liegt das propellerförmige Trimer in einer schalenförmigen Vertiefung der Membran. In deren Zentrum begrenzen jeweils zwei Helices am N-Terminus jeder Untereinheit die Ionenpore. Eine weitere Helix liegt gerüstartig an der cytosolischen Seite der Propellerblätter. Extrazellulär begrenzt eine flexible Kappe die Pore (Abbildung 1)[2]. Gemäß dem Modell erzeugt mechanischer Druck auf die benachbarte Membran am Trimer zentrifugal wirkende Kräfte, die die Schale abflachen und die Pore öffnen (siehe Abbildung 2).
Die mechanische Aktivierbarkeit der Piezo-Rezeptoren kann moduliert werden durch das Membranpotential, durch die von membranassoziierten Proteinen bzw. mit der Membran assoziierten Cytoskelett-Elementen beeinflusste Steifheit und Krümmung der Membran, durch die Lipid-Zusammensetzung der Membran, insbesondere den Gehalt an Phosphoinositiden, durch den extrazellulären pH-Wert sowie durch posttranslationale Modifizierung, z. B. Phosphorylierung[8].
Physiologische Funktionen
Die unterschiedlichen Funktionen von Piezo1 und Piezo2[8] manifestieren sich durch gewebsspezifische Expression.
Piezo1 findet sich vor allem in nicht-neuronalen Zellen. Bei embryonalen Endothelzellen der Maus führt die Wahrnehmung von Scherkräften durch Piezo1 zu verstärkter Motilität und gewährleistet so die für die Gefäßbildung erforderliche Reorganisation des Endothels. Bei adulten Mäusen trägt die Aktivierung von Piezo1 durch Scherkräfte auf zwei Schienen zur Regulation des Blutdrucks bei: Endothelzellen schütten nach Aktivierung von Piezo1 Adenosin-5′-triphosphat (ATP) aus, das als parakrines Signal letztlich die Bildung von Stickstoffmonoxid und somit die Vasodilatation fördert. In den Arterienwänden führt die Aktivierung von Piezo1 der glatten Muskelzellen durch Reorganisation der extrazellulären Matrix zur Verdickung. In Erythrocyten aktiviert bei mechanischer Stimulation durch Piezo1 einströmendes Calcium den Kalium-Kanal KCa3.1. Das führt zum Ausstrom von Kalium und Wasser aus den Erythrocyten. Weiterhin gilt Piezo1 als bedeutsam für die Integrität der epithelialen Barrieren, für die Differenzierung neuronaler Vorläuferzellen und die Nierenfunktion.
Piezo2 in freien Nervenendigungen und den Merkel-Zellen der Haut von Wirbeltieren vermittelt den Tastsinn. Bei Larven von Drosophila dient Piezo2 als Nozizeptor im Zusammenhang mit schmerzhaften Berührungen. In den Skelettmuskeln innervierenden propriozeptiven Neuronen von Mäusen vermittelt Piezo2 die Wahrnehmung der Stellung der Extremitäten und damit die Bewegungskoordination. In der Lunge von Maus und Mensch vermittelt die Aktivierung von Piezo2 den Hering-Breuer-Reflex, der eine übermäßige Dehnung der Lunge verhindert. Funktionsfähige Piezo2-Rezeptoren in den Haarzellen des Innenohrs werden während der Entwicklung des Hörapparats benötigt, aber nicht für die Wahrnehmung des Schalls.
Die Anpassung des Knochenbaus an mechanische Belastung wird je nach Modellorganismus durch Piezo1 oder durch beide Piezo-Rezeptoren in Chondrocyten vermittelt.
Pathologie
Verschiedene Punktmutationen (siehe Mutation), die zu verstärkter Aktivierbarkeit (Funktionsgewinn) von Piezo1 führen, sind die Ursache der hereditären Stomatocytose, eine Form der hämolytischen Anämie mit durch abnormen Ionengehalt dehydrierten, länglich geformten Erythrocyten (Stomatocyten). Derartige Mutationen treten in Afrika gehäuft auf und schützen vor Plasmodien-Infektion. Erblich bedingte Überaktivität von Piezo2 führt zur distalen Arthrogryposis 5 mit in Beugehaltung versteiften Gelenken[9].
Pharmakologie
Piezo1, aber nicht Piezo2, kann durch den synthetischen Agonisten Yoda1 (2-[5-[[(2,6-Dichlorophenyl)methyl]thio]-1,3,4-thiadiazol-2-yl]pyrazin) aktiviert werden[10]. Beide Piezo-Rezeptoren werden durch das Spinnengift GsMTx4 (Grammostola-spatulata-Mechanotoxin 4) gehemmt[11,12]. Dieses Peptid bindet an Lipidmembranen, beeinflusst deren Spannungszustand und erhöht so die Aktivierungsschwelle diverser mechanosensitiver Ionenkanäle (siehe Mechanotransduktion).
Literatur
[1] The Nobel Prize, The Nobel Prize in Physiology or Medicine 2021; http://www.nobelprize.org/prizes/medicine/2021/press-release/ [Prüfdatum 14.04.2022]
[2] Guo, Y. R.; MacKinnon, R., eLife, (2017) 6, e33660; https://doi.org/10.7554/eLife.33660 [Prüfdatum 14.04.2022]
[3] Saotome, K.; Murthy, S. E.; Kefauver, J. M.; Whitwam, T.; Patapoutian, A.; Ward, A. B., Nature (London), (2018) 554, 481–486; https://doi.org/10.1038/nature25453 [Prüfdatum 14.04.2022]
[4] Zhao, Q.; Zhou, H.; Chi, S.; Wang, Y.; Wang, J.; Geng, J.; Wu, K.; Liu, W.; Zhang, T.; Dong, M.; Wang, J.; Li, X.; Xiao, B., Nature (London), (2018) 554, 487–492; https://doi.org/10.1038/nature25743 [Prüfdatum 14.04.2022]
[5] Wang, L.; Zhou, H.; Zhang, M.; Liu, W.; Deng, T.; Zhao, Q.; Li, Y.; Lei, J.; Li, X.; Xiao, B., Nature (London), (2019) 573, 225–229; https://doi.org/10.1038/s41586-019-1505-8 [Prüfdatum 14.04.2022]
[6] Taberner, F. J.; Prato, V.; Schaefer, I.; SchrenkSiemens, K.; Heppenstall, P. A.; Lechner, S. G., Proc. Natl. Acad. Sci. USA., (2019) 116, 14260–14269; https://doi.org/10.1073/pnas.1905985116 [Prüfdatum 14.04.2022]
[7] Chesler, A. T.; Szczot, M., eLife, (2018) 7, e34396; https://doi.org/10.7554/eLife.34396 [Prüfdatum 14.04.2022]
[8] Murthy, S. E.; Dubin, A. E.; Patapoutian, A., Nat. Rev. Mol. Cell. Biol., (2017) 18, 771–783; https://doi.org/10.1038/nrm.2017.92 [Prüfdatum 14.04.2022]
[9] Alper, S. L., Curr. Top. Membr., (2017) 79, 97–134; https://doi.org/10.1016/bs.ctm.2017.01.001 [Prüfdatum 14.04.2022]
[10] Syeda, R.; Xu, J.; Dubin, A. E.; Coste, B.; Mathur, J.; Huynh, T.; Matzen, J.; Lao, J.; Tully, D. C.; Engels, I. H.; Petrassi, H. M.; Schumacher, A. M.; Montal, M.; Bandell, M.; Patapoutian, A., eLife, (2015) 4, e07369; https://doi.org/10.7554/elife.07369 [Prüfdatum 14.04.2022]
[11] Bae, C.; Sachs, F.; Gottlieb, P. A., Biochemistry, (2011) 50, 6295–6300; https://doi.org/10.1021%2Fbi200770q [Prüfdatum 14.04.2022]
[12] Alcaino, C.; Knutson, K.; Gottlieb, P. A.; Farrugia, G.; Beyder, A., Channels (Austin), (2017) 11, 245–253; https://doi.org/10.1080/19336950.2017.1279370 [Prüfdatum 14.04.2022]
Woo, S. H.; Lumpkin, E. A.; Patapoutian, A., Trends Cell Biol., (2015) 25, 74–81; https://doi.org/10.1016/j.tcb.2014.10.003 [Prüfdatum 14.04.2022]
Übersetzungen:
E | piezo receptor |