Chlorate
Salze der Chlorsäure (HClO3), die das Chlorat-Ion (ClO3−) enthalten.
Struktur
Da alle Cl–O-Bindungen die gleiche Länge aufweisen und das Chlor-Atom hypervalent ist, wird Chlorat häufig als Hybrid aus mehreren Resonanz-Strukturen angesehen (siehe Abbildung). Chlorat-Anionen verfügen somit über trigonale Pyramidenstrukturen[1].
Eigenschaften
Die Chlorate sind farblos und in Wasser leicht löslich. In festem, reinem Zustand sind sie bei 20 °C stabil, beim Erhitzen geben sie Sauerstoff ab, was in Gegenwart von leicht oxidierbaren Stoffen explosiv (siehe Chlorat-Sprengstoffe) vonstattengehen kann, besonders, wenn Schwermetall-Verbindungen katalytisch wirken können[2]. Chlorat-Ionen (ClO3−) sind Anionen, die Salze bilden können, z. B. mit Natrium (Natriumchlorat) und Kalium (Kaliumchlorat).
Verwendung
Die Fähigkeit zur Sauerstoff-Abgabe wird in den sogenannten Chlorat-Kerzen [Patronen mit festem Chlorat, meist Natriumchlorat (NaClO3)] zur Sauerstoff-Versorgung in U-Booten, Flugzeugen, in der Raumfahrt und in Atemmasken genutzt. Außerdem werden Chlorate aufgrund ihrer Wirkung als starke Oxidationsmittel zum Papierbleichen und zum Gerben von Leder eingesetzt.
Zudem weisen Chlorate eine herbizide Wirkung auf und waren bis 1992 in Deutschland in Form von Natriumchlorat als Wirkstoff in Pflanzenschutzmitteln zugelassen. Seit 2010 ist die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln oder auch Biozid-Produkten, die als Wirkstoff Chlorat enthalten, in allen europäischen Mitgliedstaaten verboten[3].
Vorkommen in Lebensmitteln
Chlorat kann bei der Reinigung bzw. Desinfektion von Trinkwasser mit Chlor-haltigen Lösungen, wie Natriumhypochlorit, als Desinfektionsnebenprodukt gebildet werden (vgl. Prozesskontaminante).
Häufig wurden Chlorate in tiefgefrorenem Gemüse, Obstsäften und Salaten/Kräutern nachgewiesen. Ursache für das Auftreten von Chlorat in diesen Produkten können Prozesse wie das Glasieren von Tiefkühlware, das Verdünnen von Saftkonzentraten oder das Waschen von Kräutern und Salaten mit Chlorat-haltigem Wasser sein. Denkbar ist außerdem ein umweltbedingter Eintrag von Chlorat über atmosphärische Ablagerungen bzw. über kontaminiertes Bewässerungswasser oder aber die verbotene Anwendung Chlorat-haltiger Herbizide bzw. die Aufnahme von Chlorat aus belasteten Böden durch die Pflanzen[4].
Eine Übersicht über Mikroorganismen, die in Wasser gelöste Chlorate reduzieren können, gibt Literatur[5].
Toxikologie
Chlorat kann abhängig von der Dosis, insbesondere bei oraler Aufnahme, eine hohe akute Toxizität für den Menschen aufweisen. Diese äußert sich in erster Linie durch Schädigungen der Erythrocyten (roten Blutkörperchen), was in einer Methämoglobin-Bildung und Hämolyse resultiert. Zudem kann die chronische Aufnahme von Chlorat eine Hemmung der Aufnahme von Iodid in die Schilddrüse zur Folge haben, was bei höheren Dosen vor allem bei empfindlichen Personengruppen wie Kindern, Schwangeren oder Personen mit Schilddrüsenfunktionsstörungen möglicherweise zu Veränderungen des Schilddrüsenhormonspiegels führen kann. In einer Risikobewertung von 2015 kommen die EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) sowie das BfR (Bundesinstitut für Risikobewertung) zu dem Schluss, dass eine längerfristige Exposition gegenüber Chlorat in Lebensmitteln potentiell bedenklich für die Gesundheit vor allem bei Kindern mit leichtem bis moderatem Iod-Mangel ist. Jedoch ist es unwahrscheinlich, dass die Gesamtaufnahme eines einzigen Tages – selbst im Bereich der höchsten, geschätzten Aufnahmemengen – das empfohlene Sicherheitsniveau für Verbraucher aller Altersgruppen überschreitet. Im Rahmen der neuen Risikobewertung für Chlorat wurde deshalb ein tolerable daily intake (TDI, siehe ADI) von 3 µg/kg Körpergewicht und Tag für die chronische Exposition sowie eine akute Referenzdosis (ARfD) von 36 µg/kg Körpergewicht für die akute Exposition bestimmt[3,6].
Recht
Als Pflanzenschutzmittelwirkstoff fallen Chlorate grundsätzlich unter die Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 396/2005. Diese Verordnung setzt die Pestizidrückstände fest, die in tierischen und pflanzlichen Lebens- und Futtermitteln höchstens enthalten sein dürfen. Da Chlorate als Wirkstoff seit 2008 (Aufbrauchfrist bis 2010) in der EU nicht mehr zugelassen sind und keine spezifischen Höchstgehalte festgelegt wurden, gilt EU-weit ein allgemeiner Höchstgehalt von 0,01 mg/kg[7].
Bereits seit Herbst 2018 wird auf EU-Ebene über die Festsetzung spezifischer Rückstandshöchstgehalte für Chlorat im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 diskutiert. Am 04.06.2020 ist im EU-Amtsblatt die Verordnung (EU) 2020/749 „zur Änderung des Anhangs III der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 hinsichtlich der Höchstgehalte an Chlorat in oder auf bestimmten Lebensmitteln“ erschienen. Die Verordnung beinhaltet spezifische Rückstandshöchstgehalte für sämtliche Erzeugnisse pflanzlichen und tierischen Ursprungs. Für die rechtliche Beurteilung verarbeiteter Lebensmittel liegt die Beweislast (burden of proof) zusätzlicher Chlorat-Einträge im Rahmen der Lebensmittelherstellung bzw. -verarbeitung beim Lebensmittelhersteller[8].
Die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) hat für Chlorat in Trinkwasser einen vorläufigen Richtwert von 0,7 mg/L Trinkwasser veröffentlicht[9]. Unter Berücksichtigung der aktuellen toxikologischen Bewertungen hält das BfR für Erwachsene jedoch einen Trinkwassergrenzwert von bis zu 0,07 mg Chlorat/L für akzeptabel[4]. Die Revision der Europäischen Trinkwasser-Richtlinie sieht einen Höchstwert von 0,25 mg Chlorat/L Trinkwasser vor[10].
Literatur
[1] Danielsen, J.; Hazell, A.; Larsen,F. K., The Structure of Potassium Chlorate at 77 and 298 K, In Acta Cryst., (1981)B37, 913–915; https://doi.org/10.1107/S0567740881004573 [Prüfdatum 20.08.2020]
[2] Zhang, Y.; Cannon, J. C., In Recent Research Developments in Materials Science, Pandalai, S. G., Hrsg.; Research Signpost: Trivandrum, Kerala, (1998), Bd. 1, S. 75–97
Suche in: Google Scholar
[3] European Food Safety Authority (EFSA), Risks for Public Health Related to the Presence of Chlorate in Food, InEFSA J., (2015)13(6),4135; https://doi.org/10.2903/j.efsa.2015.4135 [Prüfdatum 20.08.2020]
[4] Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR),Der Eintrag von Chlorat in die Nahrungskette sollte reduziert werden, Aktualisierte Stellungnahme Nr. 007/2018 des BfR vom 15.02.2018; https://doi.org/10.17590/20180216-094046 [Prüfdatum 20.08.2020]
[5] Logan, B. E., Bioremediat. J., (1998) 2, 69–79; https://doi.org/10.1080/10889869891214222 [Prüfdatum 20.08.2020]
[6] European Food Safety Authority (EFSA), Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Chlorate Risk Assessment, Joint EFSA – BfR Document; https://www.efsa.europa.eu/sites/default/files/assets/4135ax1.pdf [Prüfdatum 20.08.2020]
[7] Verordnung (EG) Nr. 396/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.02.2005 über Höchstgehalte an Pestizidrückständen in oder auf Lebens- und Futtermitteln pflanzlichen und tierischen Ursprungs und zur Änderung der Richtlinie 91/414/EWG des Rates in der jeweils geltenden Fassung (Amtsblatt der EU Nr. L 70, S. 1–16); https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX:32005R0396 [Prüfdatum 20.08.2020]
[8] Verordnung (EU) 2020/749 der Kommission vom 04.06.2020 zur Änderung des Anhangs III der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Höchstgehalte an Rückständen von Chlorat in oder auf bestimmten Erzeugnissen (Amtsblatt der EU Nr. L 178, S. 7–20); https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX:32020R0749 [Prüfdatum 20.08.2020]
[9] World Health Organization (WHO), Hrsg., Guidelines for Drinking-water Quality, (2011); https://www.who.int/water_sanitation_health/publications/2011/dwq_guidelines/en [Prüfdatum 20.08.2020]
[10] Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch, (2017); https://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2017/DE/... [Prüfdatum 20.08.2020]
Mendiratta, S. K.; Duncan, B. L., Chloric Acid and Chlorates, In Kirk-Othmer Encyclopedia of Chemical Technology [Online], Wiley: New York, NY, (2003); https://doi.org/10.1002/0471238961.0308121513051404.a01.pub2 [Prüfdatum 20.08.2020]
Übersetzungen:
E | chlorates |
F | chlorates |
I | clorati |
S | cloratos |